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 3. März 2003
Graf Battistello von Luang Prabang
der siebte  Brief

Meine liebe Freundin Claire

Heute schreibe ich ihnen aus dem Kaffeehaus. Ich muss gestehen es ist sehr angenehm hier zu sitzen und zu schreiben, dass leise Klirren von Geschirr im Hintergrund und Gesprächfetzen die wie leises Säuseln an mein Ohr klingen.
Diese geschäftige und doch friedliche Atmosphäre eines Kaffeehauses, ist der ideale Platz um einen Brief, an eine liebe Freundin zu schreiben. Ich kann mir gar nicht erklären weshalb ich nicht schon viel früher darauf gekommen bin.
Nach dem ich meinen letzten Brief an sie geschrieben hatte, und das Kuvert fest verschlossen, ihre Münchner Adresse auf den Umschlag geschrieben hatte, in einer merkwürdig steilen Schrift die mir fremd vorkam, gönnte ich mir einen Irishcoffee. Wahllos schlug ich eine Seite in einem meiner Bände: Geschichte der Philosophie, auf.
Was glauben sie auf welche Zeilen sich meine Augen hefteten?
Liebe Claire, warten sie nur einen Augenblick, ich habe mir das Zitat extra auf einen Zettel geschrieben und mit in das Kaffeehaus gebracht, weil ich von Anfang an wusste, dass ich ihnen darüber schreiben wollte.
Zuerst möchte ich sie mit einigen Daten langweilen um mir ihrer Neugier ganz gewiss zu sein. Meine Augen waren auf Zeilen gefallen die vor 160 Jahren von einem Menschen gedacht und aufgeschrieben wurden. Dieser Mensch war der Philosoph Ludwig Feuerbach.
Ludwig Feuerbach, geb. 28. Juli 1804 in Landshut. In Heidelberg studierte er Theologie. 1828 ging er nach Berlin, wo er besonders Hegel hörte. 1828 wurde er Privatdozent für Philosophie in Erlangen.
Was aber, hat dieser Feuerbach nun zu Papier gebracht? Meine liebe Claire, ich will sie nicht länger auf die Folter spannen. Er schrieb:
"Ich brauche zum Denken die Sinne, vor allem die Augen, gründe meine Gedanken auf Materialien, die wir uns stets nur vermittelst der Sinnentätigkeit aneignen können, erzeuge nicht den Gegenstand aus den Gedanken, sondern umgekehrt den Gedanken aus dem Gegenstande, aber Gegenstand ist nur, was aus dem Kopfe existiert."
Ich fühlte mich sofort an den Brief erinnert, den ich eben erst beendet hatte. Geht es ihnen nicht auch so? In meinem Brief waren es vor allem die Menschen in Kaffeehäusern, die ich mir mit meinen Sinnen, zu Materialien aneignete und sie formte, in dem ich Lebensausschnitte zusammen phantasierte. Die freilich nur in meinem Kopf existierten. So biege ich mir die Worte Feuerbachs zurecht, auf das sie passen. Dieser Zusammenhang, den ich zwischen meinem Brief und diesem scheinbar zufälligen Finden sehe, führt mich zwangsläufig zu einem anderen Philosophen und Arzt. Sie ahnen es schon Hippokrates.
Hippokrates vertritt die Auffassung, das was wir als Zufall bezeichnen nur aus der Unwissenheit, oder des nicht Erkennens, des größeren übergeordneten Zusammenhangs. Es gibt keinen Zufall, nur wir glauben an das Zufällige in unserem Leben, weil wir den gesamten Plan nicht kennen, ihn nicht einmal vor Augen haben. Wenn diese Gedanken zunächst ein Frösteln verursachen, so werden sie doch bald zu Vertrauten. So gesehen hat alles Zufällige einen Sinn! Jede Begegnung, mag sie noch so flüchtig sein, kann von großer Bedeutung sein, die wir nur in der Wiederholung erkennen. So geht es mir, wenn ich einen Mann im Park treffe, zufällig. Ihn ohne großes Interesse betrachte und an ihm vorüber gehe. Treffe ich ihn aber zwei Stunden im Kaffeehaus wieder, dann betrachte ich ihn aufmerksamer und Frage mich, ob diese Begegnung vielleicht doch eine Bedeutung hat. Meist geschieht jedoch nichts. Der Mann trinkt seinen Kaffee, raschelt beim Umblättern laut mit den Blättern der Tageszeitung, faltet sie nach verstreichen einer guten Stunde sorgfältig zusammen, bestellt die Rechnung und verschwindet aus meinem Leben für immer. Ich sehe ihn nie wieder.
Was aber, wenn ich zufällig zum Planer werde, meine kleinen Geschichten die ich mir aus den Materialien der Kaffeehausbesucher zusammen stelle, Wirklichkeit werden?
Tröstlich das ich mir nie einen Mörder dachte, beim betrachten eines Gesichts. Hätte ich diese Macht, ohne es zu wissen, mir schaudert. Diese Macht könnte ich nicht auf meinen Schultern tragen!
Wer aber plant, übersieht unser Leben als gesamt Werk, über den Augenblick hinaus gehoben? Mit all seinen Zufällen, die im Ganzen gesehen ein Muster in unseren Lebensteppich weben, dass klar und deutlich zu erkennen ist. Alles was wir, zur Kurzsichtigkeit verurteilt, nicht erkennen können, ja was uns oft verunsichert, manchmal gar zweifeln lässt, all das sinnerfüllt und klar zu sehen, dass wäre ein wunderbares Geschenk! Ich fürchte dieses Geschenk wird uns auch zu teil.
Liebe Claire, sie werden sich fragen, weshalb ich es fürchte, wo ich es doch herbei sehne? Nun ich fürchte es, weil ich davon überzeugt bin, dass dieses Geschenk uns an unserem Lebensabend zuteil wird. Wenn unser Leben hinter uns liegt und nur noch der Tod unsere Zukunft ist.
Wie Verrat will mir dieser Gedanke jetzt erscheinen! Jetzt wo ich mich immer noch in der Mitte meines Lebens wähne, die Zeit zwar nicht mehr so endlos vor mir liegt, wie in meiner Jugend, aber immerhin noch ein ordentliches Stück, vom Glück lebendig zu sein.
Ich sehe den alten Mann, der ich einst sein werde. Er ist wütend geworden über dieses zweifelhafte Geschenk und hat es von sich geschleudert. Um den Mund sehe ich eine Bitterkeit, die diesem Mann Zeit seines Lebens fremd war.

Genug dieser Gedankenspiele für heute.

Mein Kaffee ist kalt geworden, dass Wasser schmeckt nach Staub.
Ich werde mir einen Milchkaffee bestellen, noch eine Weile den Menschen im Kaffeehaus zusehen und dann diesen Brief, selbst zur Post tragen.

Herzlichste Grüße eines sehr nachdenklich gewordenen
Graf Battistello von Luang Prabang




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Graf Battistello von Luang Prabang schreibt seit 2002, seine nachdenklichen Briefe an Claire.
Die meiste Zeit lebt er in Berlin, in einer großzügigen Stadtvilla.
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