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25. Februar 2003
Graf Battistello von Luang Prabang
der sechste  Brief

Meine liebe Freundin Clairei

Nun ist wieder soviel Zeit verstrichen. Der Dezember war lang und in manchen Nächten an denen mich Roberto besuchte, haben wir beflügelt vom Wein, Gespräche geführt bis der Morgen graute. Mein Geist erfrischte sich an den Gedanken von Roberto und wurde aufs angenehmste befruchtet. Unsere Augen glitzerten das Feuer des Kamins wieder und unsere Wangen waren gerötet vom Wein, wie die Wangen einer jungen Frau die die Liebe entdeckt. Wir vertieften die Zuneigung zueinander und unsere Freundschaft wärmte uns, so wie früher.
Ich lud ihn ein mich im Januar in Berlin zu besuchen was er auch tat. In der klirrenden Kälte, die wir nicht spürten, machten wir lange Spaziergänge im Stadtpark. Danach ging es ins Kaffeehaus und wir tranken Cognac zum Kaffee. Bei einem unserer Besuche trank ich zum ersten Mal in meinem Leben Irishcoffee, ein sehr belebendes Getränk. Ich habe mir die Zubereitung genau erklären lassen. Die freundliche Bedienung nahm sich sogar, trotz der vielen Gäste die Zeit, eine genaue Anweisung für Gustav, meinen Hausdiener, zu schreiben. So bin ich nun in der glücklichen Lage diesen Genuss wann immer mir danach ist, in meinem eigenen Haus zu genießen.
Roberto blieb ganze drei Wochen, obwohl er seine Geschäfte dadurch aufs sträflichste Vernachlässigte, wie er mich immer wieder wissen ließ, aber auch er konnte sich nicht trennen. Viel zu wenig Zeit bliebe einem für etwas so wichtiges wie die Freundschaft.
Oft dachten wir aneinander, ohne das wir es uns mitteilten. Nur an den wenigen Briefen, die Gedichte, oder Gedankensplitter, von Philosophen, die Roberto und ich gleichermaßen schätzen. Oft schrieb mir Roberto solche Zettelbriefe, ohne ein persönliches Wort. So wusste ich zwar womit er sich beschäftigte, aber nicht wie er sich damit beschäftigte. Diese Zettelbriefe ließen mich manchmal sogar etwas ratlos zurück, doch ich vergaß sie nie und so konnten wir im Januar endlich über so vieles miteinander sprechen und sein Geist wurde mir fast eine ebenso vertraute Landschaft, wie es mir mein eigener in den Jahren der Studien geworden ist. Als er wieder nach Rom zurückkehrte brauchte ich eine Woche um mich daran zu gewöhnen, mit meinen Gedanken wieder alleine zu sein.
In dieser Woche ist mir etwas klar geworden, dass ich zwar schon ahnte, aber nie so recht in Worte fassen konnte.
Liebe Claire nun sehe ich sie lächeln. Lassen sie mich dieses Lächeln einen Augenblick genießen bis ich fortfahren werde.
Sie kennen meine Vorliebe für das Kaffeehaus und mein eintauchen in Gesichter und Bewegungen anderer Menschen und wie leicht es mir fällt eine ganze Lebensgeschichte zu einem Menschen zu erfinden, der meine Aufmerksamkeit erregt. Oft hatte ich auch den unerfüllbaren Wunsch mich selbst auf diese Weise zu sehen und mir eine Geschichte zu diesem Menschen auszudenken, der ich ist und mir aber dennoch unbekannt ist, weil ich ihn im Kaffeehaus zum ersten Mal sähe. Ich schreibe dies in dem tiefen vertrauen an unsere Freundschaft und dem Wissen das sie mich nicht missverstehen werden.
Um es kurz zu machen, die Gespräche mit Roberto eröffneten mir, wenn auch immer nur für einen kurzen Augenblick, mir selbst auf diese Weise zu begegnen. Was für ein Geschenk.
Ich sah einen Mann der so begierig ist auf alle Eindrücke die auf ihn einstürmen. Liebe, Trost, Verzweiflung, Einsamkeit, Sehnsucht all dies bevölkert die Bilder, die sich dieser Mann von anderen macht. Frei von Vorurteilen und Wertungen.
Ganz deutlich erkannte ich, dass all diese Eindrücke diesen Mann zu dem machen, der er ist. Ich erkannte die Notwendigkeit, diese Eindrücke zu verarbeiten, sonst glitten sie diesem Mann durch die Finger, als hätte er sie nie gehabt.
Das war der Blick auf diesen Mann, der ich ist, dass sich mir am stärksten eingeprägt hat und immer noch ist dieser Eindruck so besitzergreifend, dass er mich belebt und erschauern lässt.
Natürlich sprach ich auch mit Roberto darüber und an seinen Augen und seinen Bewegungen auf dem Sessel erkannte ich, dass ich von etwas sprach das auch er kennt. Gibt es einen schöneren Grund die vertraute Nähe eines anderen zu suchen?
Auch Roberto ist in der Lage aus sich selbst heraus zu treten und sich von einem anderen Standpunkt aus zu sehen.

Liebe Claire, ich schreibe ihnen dies, weil ich auch in ihnen eine verwandte Seele weiß.
Ich freue mich sie wieder in München zu wissen und das ihre Mutter in London wieder wohl auf ist.

Mit den herzlichsten nachwinterlichen Grüßen
Ihr Graf Battistello von Luang Prabang




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Graf Battistello von Luang Prabang schreibt seit 2002, seine nachdenklichen Briefe an Claire.
Die meiste Zeit lebt er in Berlin, in einer großzügigen Stadtvilla.
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