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26. November 2002
Graf Battistello von Luang Prabang
der fünfte  Brief

Meine liebe Freundin Claire

Ihre Briefe sind wie fallendes Laub bei mir eingetroffen, so zahlreich und auch an die Vergänglichkeit gemahnend. Jene Vergänglichkeit die unseren ersten Atemzug schon umschließt. Mit dem Leben gaben uns unsere Mütter auch den Tod. Gewöhnlich denken wir nicht daran. Der Tod zwingt uns erst wieder ihn zur Kenntnis zu nehmen, wenn ein Mensch der uns lieb und teuer ist, sich anschickt diese Welt wieder zu verlassen.
Ihre Mutter hat recht, wenn sie darauf besteht, dass sie eine Stunde am Tag in den Park gehen. Auch wenn ihnen dabei nur traurige Zeilen von Rilke wie Herbstlaub um das Haupt fallen. Ich bin ihrer Mutter zu großem Dank verpflichtet, das sie selbst in ihrem eigenen Leid und Schmerz, ihre Pflege und liebevolle Gegenwart nicht ausnutzt.
Liebe Claire ich möchte sie bitten nicht länger zu warten und der Bitte ihrer Mutter nachkommen und eine Krankenschwester, die Pflege am Vormittag zu überlassen.
Warum tragen sie sich so schwer mit diesem Gedanken?
Sie brauchen ihre Liebe nicht durch Vernachlässigung ihrer Selbst zu beweisen.
Was ist ein Opfer wert das nicht erwünscht ist?  Ich fürchte sie erreichen nur das Gegenteil und führen ihrer Mutter weitere Schmerzen, wenn auch aus Liebe, hinzu. Wenn sie weiterhin so mit ihren Kräften umgehen, dann werden sie diese bald schwinden sehen. Am Ende werden sie im Zimmer neben ihrer Mutter liegen und sie wird sie trösten müssen.
In der letzten Woche schrieben sie das ihre Mutter sie bat ihr beim Ankleiden zu helfen und das sie dann glücklich mit ihnen am Fenster saß und sie gemeinsam das Treiben vor dem Haus beobachteten. An diesem Abend ging es ihrer Mutter dann sehr schlecht und die nächsten drei Tage kam der Doktor zwei Mal täglich ins Haus.
Liebe Claire, haben sie noch nicht daran gedacht, dass ihre Mutter ihnen beweisen wollte, dass es ihr besser ginge und sie ihre Spaziergänge ohne schlechtes Gewissen machen können?
Seit ihrer Kindheit waren sie nicht mehr so intensiv mit ihrer Mutter zusammen. Nur das sich diesmal das Verhältnis umgekehrt hat. Jetzt sind sie es, die bei den Hustenanfällen aus dem Schlaf schrecken und die heiße Hand ihrer Mutter halten. Wie intensiv sie die Stille beschreiben die danach eintritt und ihre Mutter längst wieder eingeschlafen ist.
Wir können nichts festhalten! Wenn wir es versuchen, dann rinnt es uns wie Sand durch die Finger und wir werden uns der Leere in unseren Händen schmerzlich bewusst. Im Loslassen gewinnen wir Raum und können den Fluss begrüßen wie einen alten Freund, den wir gut verstehen und der uns sehr vertraut ist, auch wenn das Wasser auf das wir blicken stetig ein anderes ist. Darin können wir einen großen Trost finden, haben wir es erst mit allen Sinnen erkannt.
Im Augenblick zu leben, ist das große Ziel das wir in unserem Leben erreichen sollen.
Die Stille wahrzunehmen ist eine Sache, ängstlich die Atemzüge zu zählen eine ganz andere.

In Gedanken sehr nahe bei ihnen
Ihr Graf Battistello von Luang Prabang




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Graf Battistello von Luang Prabang schreibt seit 2002, seine nachdenklichen Briefe an Claire.
Die meiste Zeit lebt er in Berlin, in einer großzügigen Stadtvilla.
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