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01. September 2002
Graf Battistello von Luang Prabang
der erste Brief

Meine liebe Freundin Claire

Wir beide leben zu Beginn des dritten Jahrtausends. Es gibt Tage an denen bedrückt mich dieser Gedanke, an den Meisten anderen hebt er mich empor und ich beginne mich leicht und befreit zu fühlen. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, dieser Gedanke ist mir wie ein Schlüssel, der mir scheinbar alle Türen aufschließt. Ja, scheinbar, meine Liebe.
Ich habe dieses Wort ganz bewusst gewählt.
Wenn ich wie jetzt vor einem leeren Papier sitze, dann gibt es zwar sie als zukünftige Empfängerin, doch während des Schreibens bin ich allein, und  zwinge meinen  Gedanken  keine  gestelzte Konversationsform auf. So kann ich mich selbst glauben machen, eben jenen Zauberschlüssel zu besitzen. Der meine Worte in die Herzen einfließen lässt, die frei von Ratio, dem Zwang des Einordnens, nicht unterliegen, denn was ich zu sagen habe, ist für die Herzen geschaffen und nicht für das Gehirn.
Doch wie selten hören wir einander mit dem Herzen zu? Der Gründe gibt es scheinbar viele und obgleich ich schon viele solcher Gründe zu hören bekam, so traf ich dennoch Keinen der mich überzeugte.
Nicht der störrische Graf, den sie unlängst in mir entdeckten, schreibt dies. Nein viel mehr ist es Jener, der ein Herz öffnen möchte, nicht um der Liebe willen! Um der Freundschaft willen, von der wir Beide wissen, dass sie beständiger ist, als ein flüchtiger Rausch, mag er auch noch so sehr der Dauer anheim gestellt sein.
„Wir beide leben ...“, schon hier erfassen mich die Worte und dabei ist es nur der erste Teil, meines ersten Satzes. Ich wiederhole nicht, weil ich glaube ihre hoch geschätzte Aufmerksamkeit, mir erneut vergewissern zu müssen. Ich weiß wie sehr sie meine Briefe erwarten und welches Ritual ihnen das Eintreffen eines meiner Briefe bereits geworden ist. In ihrem letzten Brief las ich mit großer Dankbarkeit, dass meine Briefe bis zum Abend ungeöffnet bleiben, ja das sie dem Umschlag mit den drei, vier bunten Briefmarken, auf den Kamin stellen und ihm begehrliche Blicke zuwerfen, so oft sie bei ihrem Tagwerk, den Salon betreten und den Brief auf dem Kamin mit Blicken streifen.
Wenn das Haus endlich still und die Lampen gelöscht sind, dann setzen sie sich, meine liebe Freundin, mit einem wohl temperierten Glas Rotwein, vor den Kamin und legen den Brief auf das Silbertablett, auf dem Bereits der Brieföffner, aus Elefantenhaar liegt.
Ihr Blick streift über die Buchrücken ihrer Bibliothek. Erinnerungen kommen und gehen.
Sie sammeln sich. Manchmal dauert es länger und manches Mal, wie sie mir anvertrauten, erliegen sie der Ungeduld.
Dies alles ist ein Teil bewusstes Leben. Allein deshalb habe ich hier versucht ihre Worte wieder zu geben. Und wenn es, wie in ihrem Fall nur darum geht sich bereit zu machen, für den Brief eines, manchmal recht albernen und auch störrischen, Freundes.
Wir leben in den wenigen Augenblicken die wir uns bewusst machen, oder denen die wir bewusst schaffen, denn auch das liegt in unserer Macht.
Wir können Augenblicke schaffen und sind Herr über unsere Erinnerungen. Darüber was wir einlassen und darüber was wir nicht in unserem Gedächtnis aufbewahren wollen.
Doch all zu oft sind wir unaufmerksam und so finden wir in den kostbaren Stunden, in denen wir nichts tun, außer uns treiben zu lassen,  Erinnerungen von denen wir nicht wussten das sie da sind. Den Angenehmen verzeihen wir ihre Anwesenheit leicht.
Ich höre sie schon schreiben: „Doch auch das Unangenehme gehört in unser Leben."
Aber müssen wir uns wirklich daran erinnern, auch wenn wir nicht wollen?
Reicht es denn nicht völlig, wenn wir einmal draus gelernt haben und die Botschaft verstanden haben?
Ich verachte Wiederholungen aller Art. Weil sie mir sinnlos erscheinen und sie langweilen mich. Vielleicht ist es diese Seite meines Wesens, die sie als störrisch bezeichnen. Aus ihrer Feder klingt es jedoch, nach einem Kompliment.
Diese kleine Eigenmächtigkeit müssen sie mir lassen!
Wir leben und schlafen, zu Beginn des dritten Jahrtausends.
In der festen Überzeugung das daraus keine Missverständnisse erwachsen, verabschiede ich mich für heute, mit größter Hochachtung.

Ihr treuer Freund
Graf Battistello von Luang Prabang




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Graf Battistello von Luang Prabang schreibt seit 2002, seine nachdenklichen Briefe an Claire.
Die meiste Zeit lebt er in Berlin, in einer großzügigen Stadtvilla.
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