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Macht Euch die Erde untertan
Nach dem Streit um Walser: Warum
Schriftsteller die monotheistischen Religionen für die Sinnkrise verantwortlich
machen. Ein zweiter Blick auf die Romane von Peter Handke und Michel Houellebecq
von Thomas
Assheuer*
Die Kontroverse um den neuen Roman von Martin Walser Tod eines Kritikers hat, ganz nebenbei, den Blick auf einen Streit gelenkt, der den Unterstrom zu vielen intellektuellen Auseinandersetzungen der Gegenwart bildet: auf den Streit über den Stellenwert des jüdisch-christlichen Erbes. Diese Auseinandersetzung mit dem Monotheismus löst zunehmend kulturkritische Reflexe aus - mal gegen die "Weltherrschaft" amerikanischer Lebensformen, mal gegen Globalisierung überhaupt gerichtet. Doch warum werden, auf den ersten Blick durchaus unverständlich, monotheistische Religionen für den Zustand der Weltgesellschaft verantwortlich gemacht? Was wird ihnen zur Last gelegt?
Walser, dessen Roman Tod eines Kritikers (Suhrkamp Verlag) ein obszönes Spiel mit antisemitischen Stereotypen treibt, macht keinen Hehl aus seiner Überzeugung, dass die jüdisch-christliche Tradition die Hauptschuld an der modernen Sinnkrise trägt. Im Schlusskapitel seines Buches wird der Erzähler von einem nietzscheanischen Albtraum heimgesucht: Was vor 2000 Jahren als mosaischer Ruf nach Gerechtigkeit begann, werde als Nihilismus einer TV-Kultur enden. Und so ruhen die Hoffnungen des Erzählers auf einer "Saturnistin", die ihn von der "christlichen Finsternis" erlösen soll. "Saturn ist die Zeit vor der Zeit. Und nach ihr. Die absolute Anti-Utopie. (...) Hans Lach ist der gequälte Christ (...). Ehrl-König war die Operettenversion des jüdisch-christlichen Abendlandes."
Auch Handkes Roman Der Bildverlust (Suhrkamp Verlag) richtet in einer Schlüsselpassage den Blick auf den christlich-jüdischen Monotheismus und unterzieht ihn einer, im Vergleich zu Walser, beinahe einfühlenden Kritik. Handkes bekehrter "Beobachter" träumt von einer Epoche, in der sich die Zeit selbst verwandelt - aber nicht als Rückgriff hinter die Religion, sondern durch diese hindurch. "Wieder wie vor der Geschichte als Historie, Kinder der Zeit, des Gottes Kronos, (...) das sei die Verheißung, welcher jeder einzelne (...) nachzuleben versuche als einer ungeplant allgemeinen Religion." In diesem Traum verschmelzen "Offenbarung" und messianische "Verheißung". "Was für die Juden der weiterhin verheißene Erlöser ist (...), das ist, wenn auch grundanders und vor allem anders gerichtet, als Verheißung die Zeit."
In der Diagnose kaum anders, wenngleich weniger subtil, liest man es bei dem französischen Autor Michel Houellebecq. Auch Michel Houellebecq Roman Plattform (DuMont Verlag) klagt die monotheistischen Religionen an, weniger den Katholizismus, dafür umso mehr den Islam. Der Glaube an den "Einen Gott" habe einen Bildersturz ausgelöst und eine große Leere über die Welt gebracht. Was in der Wüste geboren wurde, hat die Erde zur Wüste gemacht. Einen Ägypter lässt Houellebecq sagen: "Je mehr sich eine Religion dem Monotheismus nähert, um so unmenschlicher und grausamer ist sie (...) Ein einziger Gott! (...) Wieviel tiefsinniger, menschlicher und weiser unsere ägyptische Religion war."
Die westliche Moderne entfesselt einen zweiten Bildersturm
Gewiss, die Romane von Handke und Houellebecq sind durch Welten getrennt. Zwischen ihnen liegen Kontinente der Sprache und Schreibweisen, von den erzählten Geschichten ganz zu schweigen. Handkes Roman Der Bildverlust handelt davon, wie sich eine "Bankkauffrau" einen Autor "kauft", damit er ihre Erfahrungen aufschreibt und in Sprache verwandelt (ZEIT Nr. 5/02). In Houellebecqs Plattform (ZEIT Nr. 7/02) huscht mit "echsenhafter Lethargie" ein Kulturbürokrat über die Szene, dessen Freundin als Managerin in der Sextourismusindustrie arbeitet ("Anders reisen"). Wie Konsumwaren, so sollen lustbereite Körper nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage getauscht werden, frei nach dem Motto: Die schönen Frauen der Dritten Welt bereiten den Europäern ein Lüstchen für den Tag und eines für die Nacht. Der Laden läuft - bis am Ende islamistische Terroristen das perverse Idyll von Eldorado Aphrodite in die Luft jagen.
Und doch - der Schein trügt. So unvereinbar die ästhetischen Strategien der beiden Romane auch sind, so sehr ähneln sie sich in der Kritik unserer Gegenwart. Beide "berichten" über eine "Zwischen-" (Handke) beziehungsweise eine "Übergangszeit" (Houellebecq); beide führen einen literarischen Prozess gegen die westliche Welt, deren imaginative Leere sie als unmittelbare Folge des religiösen Bilderverbots beschreiben. Denn beide behaupten, der globalisierte Kapitalismus sei nicht nur eine Wirtschaftsweise, sondern eine geschlossene symbolische Ordnung - und damit selbst eine Art Hochreligion. Revolutionär an dieser Ordnung sei nicht allein der säkulare Sieg der Ökonomie; revolutionär sei die Macht westlicher Bilder und westlicher Kultur, die "Ausweitung der Kampfzone" nach innen, auf die Sprache der Menschen. Wie ein riesiges Löschpapier sauge der Kapitalismus die letzten traditionellen Kulturen auf, um die eroberten Provinzen mit Sextouristen und Menschenrechtlern, TV-Sendern und UN-Soldaten zu besetzen, gewissermaßen als Zurüstung für die eigene Unsterblichkeit.
Bei Handke ist das eine vertraute Melodie. Er verdächtigt die Vereinigten Staaten, Hand in Hand mit ihren europäischen Vasallen einen Universalstaat zu errichten, vorneweg US-Army und Nato, im Schlepptau CNN und Hollywood. Doch die neuen Missionare exportierten nicht nur ihr Wirtschaftssystem, sondern auch ein Evangelium aus "Wissen und Information". Dieser symbolische Kapitalismus funktioniere wie seine Ökonomie nach dem Prinzip von Einschluss und Ausschluss. Zuerst schließt er die vorgefundenen lokalen und traditionellen Bedeutungen aus und ersetzt sie durch die Sprache des Geldes. Deshalb ist der politische Westen für Handke eine landnehmende, mit seinen kulturellen Symbolen aber eine namensgebende Macht. Ein Empire, das alle anderen zwingt, ihr Leben durch das westliche Sprachauge zu betrachten. Doch dieses Auge ist kalt.
Genauso liest man es bei Houellebecq. Auch bei ihm ist das Jahr 1989, der Untergang der Sowjetunion, ein Elementarereignis, das den westlichen Meridian ein letztes Mal gen Osten verschiebt. Der Westen umschließt die ganze Welt, von Kapstadt bis Wladiwostok, und nun fallen die alten Sprachnationen - oder wie Handke sagen würde: die "Völker" - in die Hände der westlichen Bilderstürmer. Auf dem Weltmarkt beginnt ein Todesrennen um die besten Plätze, ein "ewiger Kampf, der niemals zu Ende gehen kann". Es herrscht Krieg, im Großen wie im Kleinen. Nachdem alle Sinnschichten abgekratzt wurden, treffen sich Houellebecqs Kultur(!)-Angestellte in der Pariser "Bar-Bar", um reinen Sex, den letzten Signifikanten, aus dem Körper des "Partners" zu peitschen. Das nackte Leben - das ist alles, was von den abendländischen Weltdeutungen übrig blieb. "Wenn es nicht ab und zu ein wenig Sex gebe, woraus würde dann das Leben bestehen?"
Der siegreiche Kapitalismus gleicht einer säkularen Hochreligion
Handke wie Houellebecq werden nicht müde, das symbolische Elend der Gegenwart, ihre imaginative Leere, auszumalen - pathetisch der eine, parodistisch der andere. Beide sind davon überzeugt, das Leben könne nur gelingen, wenn jeder in seiner Welt Metaphern und Erzählungen vorfindet, in deren Licht er sein Dasein zu interpretieren vermag. Genau diese welterschließenden Bilder fehlen im Reklamereich des amerikanisierten Westens. Stumm steht der Held in Plattform vor seiner Vergangenheit, stumm vor seiner Gegenwart, und wie seine Zukunft aussehen soll, kann er sich "sowieso nicht recht vorstellen". Nach dem Sieg von "Kapital und Information" ist seine innere Leere absolut. Er liest Balduccis Roman Total control und Auguste Comtes Rede über den Geist des Positivismus, überzeugt,die Menschen vegetierten wie "Insekten in einem Bernsteinblock". Dabei erinnert ihn die posthistorische Zivilisation an prähistorische Zeiten. Überall ist Gewalt. "Wir legten eine Pause ein, um zu essen. Zur gleichen Zeit schlugen Jugendliche aus der Cité einer Frau in den Sechzigern mit einem Baseballschläger den Schädel ein. Als Vorspeise nahm ich Makrelen in Weißweinsoße."
Auch diese Gewalt ist eine Folge des Bildersturzes. Auf der ganzen Welt haben die neoliberalen Missionare ihre Gesetzestafeln aufgestellt, aber diese Tafeln sind blind und leer. Einmal betrachtet Houellebecqs Held die Grenze zu Thailand, und diese Landschaft ist, wie der Erzähler versichert, von überwältigender Schönheit. Und wieder bleibt der Held stumm - aber nicht, weil es ihm die Sprache verschlagen hätte, sondern weil es in seiner Wahrnehmung keine Bilder mehr gibt, in denen er das Naturschöne überhaupt als schön erfahren könnte. "Ich hatte diese (...) Formen schon irgendwo gesehen. Vielleicht in den Landschaften der italienischen Maler." Unter dem Dauerfeuer westlicher Medien sind diese erhellenden Bilder verblasst, oder mit einem Satz von Handke: Sie kommen "nicht mehr von selber", sie sind "am Aussterben, überall unter dem Himmel". Man muss sie vorsätzlich herbeirufen, und darum "bleiben sie ohne Bedeutung". Die Wahrnehmung der Landschaft wird von keinem Bild "gequert", keiner Metapher "gekreuzt".
So ist es immer wieder derselbe Befund. Die Metaphern "sterben", Information und Wissen enteignen die symbolische Wahrnehmung. Linguisten würden sagen: Weil die Hintergrundsemantik zerfällt, gibt es keine welterschließenden Metaphern mehr, in deren Licht die Romanfiguren ihre Welt als sinnvolle erfahren könnten. Im Netz der westlichen Kultur zappelt und zuckt ein bilderloses, von allen Imaginationen gereinigtes und seinem Triebschicksal stumm ergebenes Subjekt, das verzweifelt die Wirklichkeit nach Sinn abtastet, aber zwischen Paris und Bangkok nichts anderes vorfindet als jene Schnittmuster, die die Hohen Priester der kapitalistischen Religion, Trenddesigner und "Verhaltenskonsumsoziologen", vorgestanzt haben.
Und doch - eines vermag die Spiritualität des Konsums nicht aus der Welt zu bringen: das Leiden an Zeit und Endlichkeit. Handke und Houellebecq sind pessimistisch davon überzeugt, dass diese existenziellen Verhältnisse im symbolischen Kapitalismus erst recht hervortreten, und zwar wiederum mit archaischer Gewalt. Die new speak des Westens, sagen sie, habe die tröstenden Erzählungen vergiftet, mit denen Menschen ihre Grunderfahrungen deuten, ihre Erfahrung von Alter und Krankheit, Liebe und Tod. Houellebecqs Roman beginnt denn auch mit einer plakativen Anspielung auf eine Schockerfahrung der modernen Literatur, auf die Spurenlosigkeit des Todes. Der Vater des Helden wird ermordet aufgefunden, doch dieser Verlust lässt ihn völlig kalt. "Ich war ein bißchen angespannt; man hat eben nicht jeden Tag einen Todesfall in der Familie." Spurlos geht die Erfahrung des Todes an ihm vorüber, wortlos bleibt seine Trauer. Die Macht des Negativen ist erloschen und bildet keine sinnstiftenden Metaphern mehr. Der Held sitzt vorm Fernseher, darin kämpft Xena, die Kriegerin. Die Nacht wird "undurchdringlich, die Stille ebenfalls."
Auch in Handkes Sezessionsroman verändert der "Bildersturz" die Erfahrung von Zeit und Tod. Seine Heldin, von Beruf Bankkauffrau (wie eine Schlüsselfigur in Botho Strauß' Zeitroman Der junge Mann), war aus ihrem Heimatdorf geflüchtet, weil sie die "Leichenbesessenheit" dort nicht mehr ausgehalten hatte, den Terror der Religion, die Atmosphäre des Todes, das Sterben der Kinder. Sie emanzipiert sich von der Macht des Negativen und wendet sich dem Geld zu. Allein "in der Vorstellung" des Geldes "sah sie die Gegenrichtung angezeigt zu dem finsteren Kadavergehorsam (...) Das Geld verkörperte das Diesseits und hieß: Jetzt."
Doch Handke ist kein postmoderner Theoretiker, der die Verwandlung von Todeserzählungen in Geldgeschichten leichtsinnig als Fortschritt des Menschengeschlechts begrüßt. Im Gegenteil, für Handke entfaltet die rechtmäßige Befreiung von der bedrückenden Herkunft eine traurige Dialektik, und deshalb klingt seine Weltformel wie die von Houellebecq: Die Inflationierung des Geldes ist die Deflationierung von "Sinn". Doch Vorsicht - nicht das Geld ist für Handke ein Problem, sondern jene verheerende Wirkung, die es entfaltet, wenn es als "Bild" in die "Weltvermittlung", in Symbole und Metaphern, einsickert und alle anderen Bilder verdrängt. Nur deshalb kann er sagen, die "Kauf-, Veranstaltungs-, Ereignis- und sonstigen Reiz-Bilder verhinderten das Ankommen auch nur eines einzigen jener Bilder, welche (...) allen Menschen die Welt ebenso darstellten wie auffrischten". Unterm bilderlosen Blick der Aktienkurse lässt sich kein Sinn erschließen und keine Liebe gewinnen. "Was für ein Durcheinander. Und kein Zusammenhang. Keine Dauer, keine Dauer. Und doch das Leben. Das große Leben. Wie groß ist das Leben."
So abenteuerlich es klingt: Auch für diesen Bildverlust machen Handke und Houellebecq die "abendländische" Geschichte verantwortlich. Denn wenn die Tourismusmanager in Plattform ausschwärmen, um die Frohe Botschaft des Markt- und Lustprinzips zu verkünden, dann folgen sie nicht zufällig den Spuren des christlichen Seefahrers Christoph Kolumbus. Ihr Reisebüro, das Nouvelle Frontière heißt, organisiert "Entdeckungsreisen" auch nach Kuba, und zwar an die Bucht von Baracoa, wo Kolumbus an Land ging. Hier auf Kuba verdichtet sich gewissermaßen das Weltgeschick, und hier kommt die vom jüdisch-christlichen Glauben in Gang gesetzte Moderne als ökonomistische Hochreligion zur Ruhe, errichtet auf den god terms von Geld und Sex. Die religiöse Verheißung ist wieder im Diesseits angekommen. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, versichert der Erzähler, dann werde Kubas kommunistischer Nebenstrom in den kapitalistischen Hauptstrom einmünden und den Sieg der Tauschlogik vollenden. Fin de partie, Ende der Geschichte. Die dekadenten Sieger treffen auf eine Armutspopulation, die nichts anderes zu verkaufen hat als ihren nackten Körper. Cuba libre.
Auch die Staatenlosen, die in Handkes Roman Der Bildverlust aus der kriegerischen Weltgesellschaft in die Niemandsbucht Hondareda gespült werden, sind unglückliche Nachkommen des Christoph Kolumbus. Einer ihrer Vorfahren, so vermerkt der Erzähler, war Steuermann an Bord der Santa Maria und habe mitgeholfen, die "damaligen Weltgrenzen" zu erweitern. Heute kommen die Ausgewanderten zurück in ihr "Stammland", ernüchtert, "ausgespielt" und - sprachlos. Denn auch bei ihnen rührt das Leiden an einer "ungegenwärtigen Gegenwart" aus der Leere ihrer Sprachformen. Ohne Bilder, ruft Handke ihnen zu, keine "Weltvermittlung und kein Lebensgefühl". Und so dümpeln seine Fahrensleute "im Toten Meer der Unzugänglichkeit", in einem Phrasenstrom, von nichts anderem getrieben als von dem Wunsch, dem Bildersturz zu entkommen und den größten Schmerz zu besiegen, den es in Handkes Welt gibt: den Verlust an Bedeutsamkeit und Anschauung. Im letzten Jahrhundert, so sagt der "Beobachter", ist ein "Raubbau an den Bildern betrieben worden wie noch nie". Die Bilderwelt sei "aufgebraucht - ausnahmslos blind, taub und schal geworden - von keinerlei Wissenschaft mehr aufzufrischen".
Die globalisierte Neue Welt hat die Bilder der Alten Welt entkernt, und nun erschöpft sie sich in dröhnender Selbstwiederholung und feiert das Immergleiche des Neuen als die Erfüllung alteuropäischer Wünsche. Am Ende der abendländischen Mobilmachung, nachdem sich "Kapital und Information" als liturgische Formeln weltweit durchgesetzt haben, entsteht eine grandiose Tautologie, eine Welt ohne Alternative, ruhelos und statisch, unbezwingbar und unaufhörlich, allein davon besessen, warenförmige Bedeutungen zu produzieren und alles Lebendige mit seinen Einheitszeichen zu überdecken. In dieser entzauberten Welt gibt es kein Ding, das nicht aussieht wie eine Ware, und keine Erfahrung, die nicht von Menschenhand stimuliert wäre. Wenn Houellebecqs Pauschaltouristen durch Kuba torkeln, entdecken sie das, was sie zuvor in den "Reiseführern gelesen haben". Auch die Wunder werden künstlich erzeugt. "Und vergeßt nicht, irgendwo magische Augenblicke einzubauen", sagt der Touristikboss in Plattform, bevor er sich wieder der "Berechnung von Festkosten" zuwendet. "Sprachheilpädagogen" bevölkern seine Clubs, und das Einzige, worin sie sich unterscheiden, ist der Grad geheuchelter Liebe, mit dem die dunklen und hellen Körper gemäß der "angebotsorientierten Ökonomie" fusioniert werden.
Am Ende sprengt Houellebecqs Roman, mit den üblichen reaktionären Untertönen, die symbolische Ordnung des Westens gleich ganz in die Luft. Apokalyptisch gestimmt, ist Gewalt der vacuum cleaner, der die Leere der "TUI, Adidas, Nike"-Welt zur Implosion bringt. Natürlich, auch das macht seinen Roman nicht zu einem politischen Manifest; er bleibt bis zuletzt ein, zugegeben, grob gestricktes ästhetisches Gebilde, weitaus schlichter als die "wiederholten Spiegelungen" in Handkes zerquältem Epos Der Bildverlust. Dessen Misstrauen gegen moderne Sprachformen ist so groß, dass er sogar die "Schrift" des Erzählers durchstreicht und jeden Satz in Mündlichkeit aufheben möchte, in das "Sein" der reinen, im Fluss der Erzählung vergehenden Zeit. Wie Sprachlehrlinge müssen sich seine Figuren vom westlichen Imaginationsmüll reinigen, um im Medium "reiner Anschauung" zu einer neuen "Fassung" zu gelangen. Erst nach diesem Durchgang durch die Namenlosigkeit kann die Natur wieder auf neue Namen "getauft" und der Monotheismus des Westens überwunden werden.
Wohin führt die Flucht aus der traumlosen Gegenwart?
Auch Houellebecq, der intellektuelle Perlentaucher mit ständigem Blick auf den Philosophen Alexandre Kojève, beschreibt die Pax Americana nicht politisch - als System der Freiheit -, sondern allein als Sinnverlust und symbolische Schließung. Die liberale Praxis ist für ihn eine Herrschaftsform, die das Besondere tilgt, alles Leben seiner Souveränität beraubt und von authentischen Bildern abschneidet. Weil er "den Westen" allein als Säkularisat des Monotheismus beschreibt, bilden die Hochreligionen auch für Houellebecq den Focus für seinen kulturkritischen Hass.Ausgehend vom Monotheismus, habe sich der Westen in eine millenaristische Erlösungsreligion verwandelt - in ein europäisch-amerikanisches Empire. Vollständig sind die alten spirituellen Energien in die neue Ordnung eingewandert und entzaubert worden. Der Fluchtweg aus dieser traumlosen Moderne, so jedenfalls kann man Houellebecq verstehen, führt nur über die Trümmer der jüdisch-christlichen Tradition.
Dieser
fatale Fehlschluss hat schon in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts
viele Intellektuelle zum Kampf gegen "bürgerliche Moral" und egalitäre
Demokratie verleitet. Auch damals machten sie keinen Unterschied zwischen
dem Recht der Freiheit und der Gewalt des Geldes, zwischen Politik und
Kultur. Alles war eins, und an allem trug jener "bilderlose" Monotheismus
Schuld, der die "Wurzeln" des "Ursprungs" gekappt habe. Heute ist der antimonotheistische
Affekt genauso zweischneidig wie damals. Auf der einen Seite macht
er empfindlich für die Verluste der modernen Mobilmachung; auf der
anderen Seite verhöhnt er das Leidens- und Gerechtigkeitsbewusstsein,
das die Religionen der Welt geschenkt haben. Ganz finster wird es, wenn
literarische und politische Fantasie verwechselt werden. Handke hat in
seinem Serbienbuch schon einmal den Unterschied zwischen Ästhetik
und Politik aufgehoben und einer (serbischen) Diktatur den Hof gemacht.
Und dass Walsers mythischer Affekt gegen die Religion auf einen strukturellen
Antijudaismus zutreibt, kann nur übersehen, wer dessen Selbstbekenntnisse
bagatellisiert (Martin Meyer in der NZZ vom 15. 6. 02). Dagegen lassen
Houellebecq und Handke dem Leser diesmal die Freiheit, das Unbehagen an
der symbolischen Weltgesellschaft ernst zu nehmen, ohne die Hassfantasien
teilen zu müssen.
© Thomas Assheuer
*Mein Dank gilt Thomas Assheuer und Ruth Viebrock, von DIE ZEIT, die den Kontakt hergestellt hat.