Heinrich Heine über Berlin Reisebilder |
»Es ist heute eine scheene Witterung
-«
Hättest du, lieber Leser, den Ton gehört,
den un-
übertrefflichen Fistelbaß, womit
diese Worte gesprochen
wurden, und sahest du gar den Sprecher selbst,
das erzprosaische Witwenkassengesicht, die
stockgescheuten
Äuglein, die aufgestülpt pfiffige
Forschungsnase, so
erkanntest du gleich, diese Blume ist keinem
gewöhnlichen
Munde entsprossen, und diese Töne sind
die Sprache
Charlottenburgs, wo man das Berlinische
noch besser
spricht als in Berlin selbst.
Ich bin der höflichste
Mensch von der Welt und
esse gern braune Karpfen und glaube zuweilen
an
Auferstehung, und ich antwortete: »In
der Tat, die
Witterung ist sehr scheene.«
Als der Sohn der Spree
dermaßen geentert, ging er
erst recht derb auf mich ein, und ich konnte
mich nimmermehr losreißen von seinen Fragen und Selbstbeantwortungen
und
absonderlich von seinen Parallelen zwischen
Berlin und München,
dem neuen Athen, dem er kein gutes Haar
ließ.
Ich aber nahm das neue
Athen sehr in Schutz, wie
ich denn immer den Ort zu loben pflege,
wo ich mich
eben befinde. Dass solches diesmal auf Kosten
Berlins
geschah, das wirst du mir gern verzeihen,
lieber
Leser, wenn ich dir unter der Hand gestehe,
dergleichen
geschieht zumeist aus purer Politik; denn
ich weiß,
sobald ich anfange, meine guten Berliner
zu loben, so
hat mein Ruhm bei ihnen ein Ende, und sie
zucken die
Achsel und flüstern einander zu: »Der
Mensch wird
sehr seicht, uns sogar lobt er.«
Keine Stadt hat nämlich weniger Lokalpatriotismus
als Berlin
Tausend miserable Schriftsteller haben Berlin
schon in Prosa
und Versen gefeiert, und es hat in Berlin
kein Hahn
danach gekräht, und kein Huhn ist ihnen
dafür gekocht
worden, und man hat sie Unter den Linden
immer noch für miserable Poeten gehalten,
nach wie
vor.
Dagegen hat man ebenso wenig
Notiz davon genommen,
wenn irgendein Afterpoet etwa in Parabasenauf
Berlin
losschalt. Wage es aber mal jemand, gegenPolkwitz,
Innsbruck, Schilda, Posen, Krähwinkel
und andre
Hauptstädte etwas Anzügliches
zu schreiben
Wie würde sich der respektive
Patriotismus dort
regen! Der Grund davon ist: Berlin ist gar
keine
Stadt, sondern Berlin gibt bloß den
Ort dazu her, wo
sich eine Menge Menschen, und zwar darunter
viele
Menschen von Geist, versammeln, denen der
Ort ganz
gleichgültig ist; diese bilden das
geistige Berlin.
Der durchreisende Fremde sieht
nur die
langgestreckten, uniformen Häuser,
die langen,
breiten Straßen, die nach der Schnur
und meistens
nach dem Eigenwillen eines einzelnen gebaut
sind und
keine Kunde geben von der Denkweise der
Menge.
Nur Sonntagskinder vermögen etwas von
der Privatgesinnung
der Einwohner zu erraten, wenn sie die langen
Häuserreihen
betrachten,die sich, wie die Menschen selbst,
voneinande
fernzuhalten streben, erstarrend im gegenseitigen
Groll.
Nur einmal, in einer Mondnacht,
als ich etwas
spät von Lutter und Wegener heimkehrte,
sah ich, wie
jene harte Stimmung sich in milde Wehmut
aufgelöst
hatte, wie die Häuser, die einander
so feindlich gegenübergestanden, sich gerührt baufällig
christlich anblickten und sich versöhnt in die Arme
stürzen wollten, so dass ich armer Mensch, der in der
Mitte der
Straße ging, zerquetscht zu werden
fürchtete.
Manche werden diese Furcht
lächerlich finden, und
auch ich lächelte darüber, als
ich, nüchternen Blicks,
den andern Morgen durch eben jene Straßen
wanderte
und sich die Häuser wieder so prosaisch
entgegengähnten.
Es sind wahrlich mehrere Flaschen
Poesie dazu nötig, wenn man in Berlin etwas anderes sehen will
als tote
Häuser und Berliner. Hier ist es schwer,
Geister zu
sehen. Die Stadt enthält sowenig Altertümlichkeit
und
ist so neu; und doch ist dieses Neue schon
so alt, so
welk und abgestorben. Denn sie ist größtenteils,
wie
gesagt, nicht aus der Gesinnung der Masse,
sondern
einzelner entstanden.
Der große Fritz ist wohl
unter diesen wenigen der
vorzüglichste; was er vorfand, warnur
feste Unterlage,
erst von ihm erhielt die Stadt ihren eigentlichen
Charakter,
und wäre seit seinem Tode nichts mehr
daran gebaut worden,
so bliebe ein historisches Denkmal von dem
Geiste jenes prosaisch
wundersamen Helden, der die raffinierte
Geschmacklosigkeit
und blühende Verstandesfreiheit, das
Seichte und das Tüchtige
seiner Zeit, recht deutsch-tapfer in sich
ausgebildet hatte.
Potsdam z.B. erscheint uns
als ein solches Denkmal,
durch seine öden Straßen wandern
wir wie durch die
hinterlassenen Schriftwerke des Philosophen
von Sanssouci,
es gehört zu dessen œuvres posthumes,
und obgleich es
jetzt nur steinernes Makulatur ist und des
Lächerlichen genug enthält,
so betrachten wir es doch mit ernstem Interesse
und
unterdrücken hie und da eine aufsteigende
Lachlust,
als fürchteten wir, plötzlich
einen Schlag auf den
Rücken zu bekommen, wie von dem spanischen
Röhrchen des Alten Fritz.
Solche Furcht aber befällt
uns nimmermehr in Berlin,
da fühlen wir, dass der Alte Fritz
und sein spanisches
Röhrchen keine Macht mehr üben;
denn sonst würde aus
den alten, aufgeklärten Fenstern der
gesunden Vernunftstadt
nicht so manch krankes Obskurantengesicht
herausglotzen,
und so manch dummes, abergläubisches
Gebäude
würde sich nicht unter die alten skeptisch
philosophischen
Häuser eingesiedelt haben.
Ich will nicht missverstanden
sein und bemerke ausdrücklich,
ich stichle hier keinesweges auf die neue
Werdersche Kirche,
jenen gotischen Dom in verjüngtem Maßstabe,
der nur aus Ironie
zwischen die modernen Gebäude hingestellt
ist, um allegorisch zu
zeigen, wie läppisch und albern es
erscheinen würde, wenn man alte,
längst untergegangene Institutionen
des Mittelalters wieder neu
aufrichten wollte, unter den neuen Bildungen
einer neuen Zeit.
Das oben Angedeutete
gilt bloß von Berlins äußerlicher
Erscheinung, und wollte man in dieser Beziehung
München
damit vergleichen, so könnte man mit
Recht behaupten,
letzteres bilde ganz den Gegensatz
von Berlin.
[Heinrich Heine: Reisebilder; Dritter Teil]
Heinrich Heines biographische Daten: Klicken sie bitte auf das Buch.
Kommentar
schreiben im Salonforum
Aufwiedersehen im
nächsten Salon
Ihre Ilona Duerkop