Das Ärgernis:
Anna Lindh, 43, Schwedens Außenministerin mit ausgeprägtem Hang zum Familiären, mochte von ihren privaten Vorlieben auch am Rand des Ostseerates in Hamburg nicht lassen. Nach den Bearatungen mit ihren Kollegen aus den Ostsee-Anrainerländern und zwischen hektischen Telefonaten wegen der Krisen auf dem Balkan und in Nahost verschwand die Ministerin so unerwartet und geschwind über den Rathausmarkt in der Innenstadt, dass sie sogar ihre Sicherheitsbeamten abhängte. Ziel der dynamischen Schwedin: ein Bäcker im nahen „Schlemmermarkt“. 
„Ich liebe deutsches Brot“, erklärte Anna Lindh dem verdutzten Generalkonsul Leif Sjöström, bevorzugt aus Sauerteig. „Warum nur gibt es so ein Brot nicht in Schweden?“, klagte sie. Ausdauernd ließ sie sich über Zutaten und Backverfahren informieren, bevor sie sich gleich für vier Brotlaibe, vor allem Holsteiner Krustenbrot, entschied und, beladen mit zwei Papiertaschen, zurückhetzte. Die seien für ein Picknick mit den Kindern am Wochenende, beschied sie den fragenden Diplomaten, und um die Menge machte sie sich auch keine Sorgen: „Was übrig bleibt, frier ich ein.“
Der Spiegel, Personalien S. 229
20. März 2003

Anna Lindh hat also einen Hang zum Familiären, einen ausgeprägten Hang sogar. Es liest sich als würde es sich hier um ein Geschwür handeln, einen Makel, den man besser versteckt, als ihn offensichtlich vor sich her zu tragen. Anna Lindh verbirgt jedoch nichts der gleichen, im Gegenteil sie bestätigt diesen Hang, in dem sie Brot kauft.
Kein Wort darüber, dass Anna Lindh, die ja immerhin Außenministerin Schwedens ist, auch noch andere Fähigkeiten und Eignungen haben muss, als die einfache Tatsache, das sie deutsches Brot liebt und ihre Zeit so organizieren kann, dass es auch noch für einen schnellen Einkauf reicht. Sie kam sah und handelte.
Es ist schwierig Familie und Kariere unter einen Hut zu bekommen, solche Artikel helfen nicht gerade dabei. Dieser Artikel ist gespickt voll mit Wortspitzen, die zunächst gar nicht so ins Auge fallen. So lässt sich lesen: „Ausdauernd ließ sie sich über Zutaten und Backverfahren aus.“ Dieser Satz wird wie folgt aufgenommen: Ausdauernd bedeutet in diesem Fall zu lang und ihr Zuhörer langweilend. Ich möchte einen genaueren Blick darauf werfen, wie Anna Lindh hier zu Wort kommt. Drei Mal wird sie im Orginalton zitiert, dass ist viel, wenn ich an die Gesamtlänge des Artikels denke. Die Aussagen, jede für sich alleine genommen, sagen nichts falsches, oder dummes, doch der Zusammenhang wird hergestellt und das gleich zu Anfang. Ann Lindh ist 43 und schwedische Außenministerin, Teilnehmerin des Ostseerates. In diesem Zusammenhang kann alles gesagte nur dumm wirken, was sich nicht auf die Beratungen bezieht! Eine weitere Spitze ist, dass ihre Kollegen zu Anfang so benannt, am Ende Diplomaten genannt werden. Kollegen über die Zubereitung von Brot zu sprechen, mag ja noch angehen, aber Diplomaten gegenüber?
Hier wird Sprache zur Waffe. Zum Feind, der unsichtbar bleibt und somit, in der Unsichtbarkeit ungleich schwieriger zu bekämpfen. Es wird zum viel beschriebenen Kampf gegen Windmühlen und zehrt Kräfte auf, ohne den Gegner auch nur zu verletzten, von Siegen kann von vorneherien keine Rede sein. Der Kampf ist aussichtslos. Diskriminierung bedeutet Herabsetzung durch unterschiedliche Behandlung, wo es keine Unterschiede geben sollte.
Mich ärgert diese Art der Diskriminierung von Frauen, die immer noch stattfindet, wenn die Mittel auch subtiler sind. Manch ein Mann wird wohl fragen, was mich eigentlich verärgert an diesem Artikel. Im übrigen wird sich diese Frage auch manch einer Frau stellen.
Zu dem Artikel gehört noch ein Foto, auf dem man Anna Lindh aus dem Flugzeug kommen sieht, mit besagten Brottüten in den Händen, auch das Foto spricht Bände.

Dieser Artikel war einem Journalisten einige Worte wert und dem Spiegel, der teure Raum einer achtel Seite, dass Foto nicht mitgerechnet. (Drei achtel der Seite wurden verkauft an einen zahlenden Kunden; Werbung.)

© Ilona Duerkop
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