Laos Tagebuch, Dezember 2004 |
Ilona Duerkop |
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Die Götter hatten gesiegt. Ich war die erste weiße Frau, die das
verbotene Lhasa betreten und den Weg dahin gewiesen hatte. Mögen
andere mir folgen und die verschlossenen Tore des Wunderlandes
öffnen, "zum Besten und zum Gedeihen vieler", wie es in
den heiligen Schriften des Buddhismus heißt.
© Alexandra David-Neel in "Mein Weg durch Himmel und Hölle" |
Vientiane, Wat Ho Phra Keo, Samstag
den 11. Dezember 2004
Eine deutsche Reisegruppe, nebst ergrautem hoch
gewachsenem Reiseführer aus dessen Mund im Sim folgendes zu vernehmen ist:
„Das sie Sanskrit und Pali wieder lesen können, dass verdanken sie den Deutschen. Max Müller hat das Sanskrit wieder lesbar gemacht.
Er hat den Indern ihre ganze Kultur wieder zurück gegeben! Er wird da heute verehrt wie ein Heiliger!“
Die zur Schau gestellte Selbstherrlichkeit als Deutscher haut mich um. Die Studiosus, Durchschnittsalter um die 60, nehmen die
Information gleichgültig auf, so wie die Ausführungen zuvor schon keinen sonderlich interessierten – wenigstens das! Es besteht also
Hoffnung das dieser Satz vergessen wird.
Mit solchen Reiseführern ist das Diskutieren nutzlos. Marke: ich weiß Alles über Alles.
Mäxschen hieß nicht nur Max, sondern Friedrich Max Müller
und um den Indern, ja gar ganz Asien, oder wie der Reiseführer sie Alle zusammenfassend nennt: „sie“; um ihnen ihre Kultur zurück zu geben kam Max nicht alleine.
Europäische Sprachwissenschaftler übersetzten in der Mitte des 19. Jahrhunderts die ältesten Buddhistischen Schriften die überwiegend in Pali-Sprache verfasst worden sind. Die Gebete der Mönche erklingen auch heute noch im Sprechgesang in Pali-Sprache. Pali ist die Sakralsprache des Buddhismus, vergleichbar mit dem Latein der römisch katholischen Kirche.
Milde lächelt der große goldene Buddha, die Augen halb geschlossen, ein Zeichen der tiefen inneren Versenkung, die ihn schon viele Jahre auf der stilisierten Lotusblüte, mit gekreuzten Beinen sitzend hält. Er ist der Grund weshalb es diesen Sim überhaupt gibt. Gläubige knien nieder, beten kurz
und gehen an den Vitrinen vorbei wieder nach draußen. Wat Ho Phra Keo ist ein Museum für buddhistische Kunst. Fast alles ist hier so geblieben
wie es war, als das Wat noch die Wichtigste Pagode in Vientiane war. Einzig die Vitrinen sind hinzu gekommen, weitere Buddhastatuen, eine
Tempeltür mit erotischen Schnitzereien, die die meisten Besucher übersehen so auch die Studiosus, ein Grenzstein aus dem Jahre 1560 der
die Grenze Siam – Laos markierte.
Einige Exponate tragen noch ihre Registrierungsnummer und eine Beschreibung in laotischer Schrift auf vergilbtem Karton, an den Meisten
Buddhastatuen aus Bronze ist diese Nummer mit weißer Farbe seitlich auf die bronzenen Falten der Toga geschrieben.
All diese Gegenstände schlafen unter ihrer Staubschicht einen Dämmerschlaf, wenig beachtet mit Blicken nur gestreift, versinken sie in den
Falten der Zeit.
Den Besuchern in Museen ist lange beigebracht worden, dass man erst lesen muss um zu sehen. Hier gibt es keine Tafeln die einem
erklären was man sieht, so bleiben die Meisten blind und interesselos. Im buddhistischen Laos ist Pagodenbesuch eben selbstauferlegte Pflicht.
Vientiane, Dienstag
den 14. Dezember 2004
Meine Weihnachtspost erledige ich am Mekongufer. Gibt es einen schöneren Platz? Wohl kaum!
Die Mutter aller Wasser ist so
langsam geworden, dass ich überhaupt keine Strömung erkennen kann. Die große Sandinsel ist wieder da, die ganze Regenzeit über
habe ich sie nicht gesehen. Bald wird das Wasser links von ihr verschwunden sein und man kann wieder zu Fuß über den Mekong
nach Thailand gehen.
Nur eine Fahrrinne wird auf der thailändischen Seite übrig bleiben. Noch eins zwei Wochen vielleicht.
Während ich meine Post schreibe, denke ich an Weihnachtsmarkt, Lebkuchen und Schnee. Neun Winter habe ich keinen Schnee
gesehen, da vergisst man das morgendliche Freikratzen der Autoscheiben.
In Briefen und Postkarten aus Deutschland kommt ein wenig Schnee an.
Eine besinnliche Weihnacht! Eine Gnadenreiche Zeit! Seltsam welche Worte mir plötzlich in den Sinn kommen. Nichts könnte hier
ferner sein als Weihnachten. Die künstlichen Weihnachtsbäume die in den Geschäften vereinzelt auftauchen wirken fremd.
Auch in diesem Jahr gibt es im Phimphone Markt wieder Schnee zu kaufen, eine Dose für 38.000 Kip (€ 2,77), sowie weihnachtliches
Zubehör für die gemischten Nationen, aus denen die Entwicklungshelfer kommen. Man erfährt einiges über die verschiedenen
Weihnachtsbräuche auf dem Warentisch. Dahinter der Weihnachtsbaum, mit Kugeln, schwebenden Engeln und vielen Schleifen,
alles in weiß, eindeutig Madame Phimphon!
An Flussufern pflegen die Gedanken ihre eigenen Reisen anzutreten.
Langsam schwindet das Licht. Die Aerobic-Mädels bereiten sich auf ihre Stunde vor.
Kurz nach 18 Uhr, mir verschwimmen die Worte, ich höre auf. Die Turnerinnen haben ihre Anlage aufgedreht und der gnadenlose
Rhythmus reißt schon an ihren Gliedern.
So schnell hat man Aerobic selten gesehen, wie hier in Vientiane!
Es ist dunkel, der Himmel ist schwarz, vom gegenüberliegenden Ufer ist nichts zu hören. Die Häuser senden ihre Lichtfinger durch
die Fenster bis in das nachtschwarze Mekongwasser.
Eine zarte Mondsichel liegt wie ein großes „C“ auf dem Rücken, noch
jung und zerbrechlich.
Vientiane, Montag
den 27. Dezember 2004
Es ist Montagabend. In einer roten Tasche des Bouvier in Bonn ist Sandspielzeug für Silvan. Wir haben in den letzten Wochen oft am
Mekong gesessen und im Sand gespielt. Solange bis es dunkel wurde und oft auch noch etwas länger, da die Laoten die zum
Sonnenuntergang kommen oft mit uns zu sprechen. Auch Silvan spricht inzwischen ein wenig laotisch und das erfreut die meist jungen Menschen, sehr.
Heute habe ich neben den Spielsachen auch ein Klemmbrett mitgebracht. Ich schreibe einen Brief an meine Freundin in Emden.
Sie hatte gehofft mich im Sommer zu sehen und mir ihre Nachricht selbst erzählen zu können. Im Oktober ist ihr drittes Kind zur Welt gekommen.
Es gibt Briefe die an ganz besonderen Plätzen geschrieben werden müssen, dies war einer der Briefe und das Mekongufer ein mehr als geeigneter Platz.
Es war ein schöner Abschluss dieses Tages.
Am Abend wurde ich in eine nicht erwartete und schmerzlich andere Wirklichkeit geholt. Um 20 Uhr Ortszeit erreichte mich
die Nachricht der Katastrophe in Süd Ost Asien.
Was ich in der deutschen Welle sah war wahr und geschehen!
Vientiane, Mittwoch
den 29. Dezember 2004
Immer unfassbarer wird das was ich in der deutschen Welle sehe und über das Internet erfahre. Viele der Ausländer die hier leben
sind zur Zeit in Urlaub und auch die ausländischen Entwicklungshilfe-Organisationen arbeiten im Jahreswechsel auf Sparflamme.
Es ist die Zeit des Innehaltens und des Urlaub machens. Die wenigen die in Vientiane geblieben sind, sind betroffen.
Es gibt unter den Ausländern kein anderes Thema wenn man sich zufällig in Vientiane begegnet.
Auch die Laoten wissen durch das Fernsehen bescheid.
Die thailändische König und seine Familie beerdigen heute ihren Enkel Khun Poom, den Sohn von „His Royal Highness Crown
Prince Maha Vajiralongkorn“ und Prinzessin Ubolratana.
Seine Schwiegertochter Prinzessin Ubolrantana war zur Zeit der Katastrophe mit ihrer Tochter Khun Sirikitiya und ihrem Sohn Khun Poom in Phangnga.
In der Bangkok Post verzeichnet man im gesamten betroffenen Gebiet 21.173 Tote.
Vientiane, Donnerstag
den 30. Dezember 2004
Aus einem Brief an meine Schwester Monika:
Es ist furchtbar was am Sonntag geschehen ist. Ich habe seit Montagabend das Gefühl das wir mit betroffen sind, aber ich kann nicht
sagen inwieweit. Inzwischen geht man von über 80.000 Toten im gesamten Gebiet aus. In Indonesien werden Gräber mit Baggern geschaufelt,
kann man sich das überhaupt vorstellen? Ich will es mir vorstellen und schaue mir die Bilder an, sie treiben mir die Tränen in die Augen.
Warum ich mir das antue? Dieser tausendfache Tod muss einen Sinn gehabt haben, die Trauer der Einzelnen ist zu groß, vielleicht
macht meine Trauer ihre Trauer ein wenig leichter. Ich weiß nicht warum ich es tue, aber ich habe das Gefühl das mich diese Katastrophe
etwas angeht, mich als Mensch, in meiner Verletzlichkeit, vielleicht wird sie mich lehren mich selbst nicht so wichtig zu nehmen.
In diesem Sinne können wir alle vielleicht etwas lernen, dann hätte dieses Sterben einen größeren Sinn. Wenn wir daraus lernen könnten
das das Leben das Wichtigste ist und das es nicht darum geht mehr zu wollen als dieses am Leben sein, überlebt zu haben, noch zu leben,
nicht dort gewesen zu sein!
Heute frage ich mich wer von meinen Lehrerkollegen die Ferien am Meer verbracht hat und vielleicht in Phuket, Khau Lak oder auf den
Phi Phi Inseln war. Laura wollte in diesen Tagen am Meer sein, Ned der zu Anfang diesen Jahres einen Schlaganfall hatte ist nicht mitgefahren,
er läuft noch sehr langsam und am Stock. Laura wollte sich ein paar Tage erholen.
Warum habe ich nur nicht so genau hingehört als sie sagte wohin sie fahren würde. Ich hoffe sie ist nicht dort!
Wer von den 185 Schülern der Vientiane international School (VIS) ist mit den Eltern zu einem Urlaub nach Thailand geflogen, oder mit dem
eigenen Auto gefahren?
Sug hat eine koreanische Freundin die auf Phi Phi war, sie hat noch nichts von ihr gehört, auch dies habe ich heute erst erfahren. Ist es dieses
Art von Beteiligt-sein, außer der Moralischen?
Wir kennen Khau Lak, waren vor fünf Jahren dort auch in Phuket jeweils einige Tage.
Ein Bild geht mir nicht aus dem Kopf, Leichen am Strand von Khau Lak, ich kenne genau dieses Stück Strand, man sah es von der Straße
im Berg aus, verheißungsvoll aufblinzelnd.
In Khau Lak hatte man gerade begonnen Ressorts zu bauen, die Insel war vor fünf Jahren, außerhalb der Saison, als wir dort waren eine große Baustelle.
Man machte nicht die Fehler die man an anderen Stränden Thailands gemacht hatte. Man baute keinen großen Hotels mit mehr als 10 Stockwerken, man baute Bungalows in gut durch organisierten Ressorts. So blieben die Bars beschaulich und die Prostituierten blieben fern und so folgten ihnen nicht die Drohnen die sie zu umschwärmen pflegen. Dies macht Khau Lak besonders attraktiv für den Familienurlaub. Besonders schwedische und deutsche Familien zog es nach Khau Lak. 10.000 Urlauber aus aller Welt sollen sich zum Zeitpunkt der Katastrophe in Khau Lak aufgehalten haben.
In deutschen Medien ist natürlich von den deutschen Opfern die Rede und erst in zweiter Linie von den Opfern in Indonesien, Indien, Sri Lanka,
Sumatra, Malaysia, aber auch Kenia und Somalia.
80.000 Menschen! Ehefrauen, Ehemänner, Kinder, Enkel, Tanten, Onkel, Freunde und Freundinnen, Schwestern und Brüder, Großeltern
und Eltern. Diese 80.000 Menschen hatten in ihrem Leben Verbindungen zu vielen Menschen geknüpft, die zurück gebliebenen Trauern und versuchen zu
verstehen, wenn ihnen das Chaos das sie umgibt überhaupt Gelegenheit dazu lässt.
In der indonesischen Provinz Aceh, die am schwersten von dem Beben getroffen wurde, tobt seit Jahren ein blutiger Bürgerkrieg.
Nun soll die streng abgeriegelte Provinz für Hilfsorganisationen geöffnet werden. Ein Rebellenführer rief dazu auf, die Waffen schweigen zu lassen - und zu helfen.
Wenn diese Katastrophe die Menschen daran erinnern kann, was das wichtigste im Leben ist, dann wird sie vielleicht dazu führen das dieser Bürgerkrieg beendet wird.
Spenden ist nicht das Einzige was wir tun können!
Tsunami – Die Welt lernt ein neues Wort unter großen Schmerzen.
Viele Familienangehörige, Freunde und Bekannte fragen besorgt wie es uns geht.
Auch Laos Tagebuch Leser melden sich bei mir und fragen nach ob bei mir alles in Ordnung ist. Auch für mich rückt die Welt
dadurch zusammen, so wie es in den Medien beschrieben wird. Eine Welt und wir alle auf dieser Einen!
Vientiane, Freitag
den 31. Dezember 2004
Heute erfuhr ich das unsere australischen Nachbarn ihren Urlaub in Phuket um einen Tag verkürzt hatten. Eigentlich wollten sie am
26. Dezember nach dem Frühstück von Phuket aufbrechen. Zu ihrem Glück hatten sie beschlossen einen Tag früher in Bangkok zu sein.
Die Bilder im Fernsehen machten ihnen klar wie viel Glück sie hatten nur aus einer Laune heraus waren sie am Unglückstag nicht in Phuket.
Immer noch wissen wir nicht wer von der ausländischen Community aus Laos die langen Ferien nicht dazu genutzt hat in die Heimatländer
zu fliegen, sondern stattdessen im nahen Thailand Urlaub gemacht hat.
Entwicklungshelfer des DED waren nicht im Urlaub an den Stränden von Phuket, Khao Lak, oder auf der Phi Phi Insel.
Die laotische Botschaft in Bangkok gab bekannt das 20 Laoten, die auf der Baustelle einer Hotelanlage in Phuket gearbeitet haben, tot sind.
Die Zahl dürfte aber höher sein, da viele Laoten illegal über die Grenze gehen und sich dann am Arbeitsplatz in Thailand nicht offiziell melden. Auf der Baustelle haben die Laoten zu einem Tagessatz von 250 Thai Baht (ca. 5 Euro) gearbeitet.
Die Zahlen der Opfer, in der gesamten betroffenen Region, wächst täglich in erschreckendem Maße! Am 26. 12. war im Spiegel-online von
11.000 Toten die Rede, inzwischen spricht der Spiegel davon, dass die Zahl der Toten um mehr als 150.000 ansteigen wird.
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